Mythos 1: „Die negative Emotion will mich schützen.“
Diese Aussage klingt zunächst logisch, vor allem bei möglichen Gefahren. Wer Angst vor einem aggressiven Hund hat, wird sich vermutlich eher schützen wollen. Doch warum reagieren Menschen oft mit der gleichen Intensität auf einen harmlosen Pekinesen wie auf einen großen Dobermann? Und was ist mit Angst vor Nähe, vor dem Kennenlernen neuer Menschen oder vor Ablehnung?
Die Wahrheit ist: Die Emotion zeigt lediglich, dass gerade etwas in uns nicht passt – dass wir innerlich (noch) nicht bereit sind. Sie ist weniger ein Schutzmechanismus, sondern vielmehr ein innerer Hinweisgeber. Und da negative Emotionen selten klar abgrenzbar sind – ist es Angst, Unsicherheit, Nervosität, Hemmung oder Überforderung? – wird es umso wichtiger, nicht vorschnell auf sie zu reagieren, sondern genauer hinzusehen und einen lösungsorientierten Umgang zu finden.
Mythos 2: „Die Emotion zeigt mir, dass ich etwas lernen soll – also muss ich handeln.“
Hier wird es trickreich. Ja, die Emotion will uns tatsächlich etwas zeigen. Aber nicht in der Form, dass wir im Außen nach Lösungen suchen oder gegen sie ankämpfen müssen. Die Botschaft der Emotion lautet vielmehr: „In dir stimmt etwas nicht. Schau hin.“ Die Lösung liegt also im Inneren – nicht in der Veränderung äußerer Umstände, nicht in Ablenkung oder Aktionismus.
Die Psychologie kennt diesen Mechanismus als „Kampf oder Flucht“. Doch wirkliche Entwicklung beginnt dann, wenn wir lernen, unangenehme Gefühlszustände und negative Emotionen gezielt zu lösen. Erst dann entsteht nachhaltige Veränderung.
Mythos 3: „Negative Emotionen zeigen mir meine Grenzen auf.“
Auch das klingt zunächst plausibel. Doch sehen wir es einmal anders: Was, wenn uns unsere Emotionen nicht unsere Grenzen, sondern unser Potenzial zeigen? Vielleicht will dir deine Unsicherheit eben nicht sagen „Bis hierhin und nicht weiter“, sondern vielmehr: „Hier gibt es noch etwas zu entdecken. Hier ist dein Entwicklungspotenzial.“
Emotionen sind keine Stoppschilder, sondern eher Wegweiser – wenn man bereit ist, ihnen wirklich Beachtung zu schenken.
Mythos 4: „Nur wenn ich mich überwinde, lerne ich etwas.“
Viele Menschen berichten davon, dass sie sich ihren Ängsten und anderen negativen Emotionen gestellt haben, sich überwunden haben und danach stolz oder erleichtert waren. Das scheint den Mythos zu bestätigen. Aber was wäre, wenn dieselbe Situation mit innerer Klarheit, Ruhe und Vertrauen noch besser gelaufen wäre?
Wer beides erlebt hat – Überwindung im inneren Kampf versus Handeln aus innerer Klarheit, Ruhe und einem entspannten Zustand – weiß: Der zweite Weg ist nachhaltiger, angenehmer und bringt oft sogar größere Lernerfolge und bessere Ergebnisse. Es geht nicht darum, sich immer wieder zu quälen, sondern darum, Herausforderungen mit einem neuen emotionalen Fundament zu begegnen.
Mythos 5: „ Wenn ich mich nicht mit meinen negativen Emotionen beschäftige, gebe ich Ihnen auch keine Energie.“
Ein weit verbreiteter Irrglaube. Das Ignorieren negativer Gefühle ist vergleichbar mit einer unaufgeräumten Wohnung: Nur weil du nicht hinsiehst, wird sie nicht sauberer. Die Illusion besteht darin zu glauben, dass sich durch Nichtbeachtung nichts verändert – oder sogar verbessert. Und: Negative Emotionen werden auch nicht mehr, wenn man sich mit ihnen beschäftigt.
Im Gegenteil: Wer seinen Emotionen keine Beachtung schenkt, verhindert ihre Lösung. Und: Verdrängte Emotionen verschwinden nicht einfach. Sie bleiben, wirken im Hintergrund und tauchen oft genau dann wieder auf, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann. Erst wenn wir ihnen Raum geben und sie als Signal verstehen, können wir lösungsorientiert mit ihnen umgehen.
Mythos 6: „Meine Emotionen wollen mir etwas sagen – ich muss nur herausfinden, was.“
Das klingt erstmal sinnvoll. Doch viele suchen die „Antwort“ auf ihre Emotionen in rationalen Gedanken, in Plänen oder Gesprächen. Dabei spricht das Unbewusste nicht in Worten. Es kommuniziert über Empfindungen – im Falle von negativen Emotionen über Dissonanzen.
Eine unangenehme Emotion sagt nicht: „Tu dies“ oder „Lass jenes“, sondern sie fühlt sich schlichtweg „nicht gut“ an. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist die Sprache des Unbewussten. Und das Lösen dieser Dissonanzen ist gleichzeitig auch die Antwort.
Die große Crux mit den Mythen
Das Fatale an diesen Mythen ist: Man erkennt sie erst als solche, wenn man sie hinter sich lässt. Wenn man bereit ist, einen anderen Weg zu gehen – den Weg der emotionalen Freiheit.
Wer sich nicht aktiv und lösungsorientiert mit seinen Emotionen beschäftigt, wird früher oder später von ihnen eingeholt. Manchmal sogar überrollt. Und dann kommt die große Frage: Warum passiert mir das immer wieder?
Die Antwort liegt auf der Hand: Weil wir Menschen emotionale Wesen sind. Unsere Gefühle begleiten uns ständig. Ignorieren wir sie, verlieren wir die Kontrolle. Beschäftigen wir uns mit ihnen – im besten Fall lösungsorientiert – gewinnen wir sie zurück. Dann sind wir nicht mehr nur Passagiere in unserem emotionalen Erleben, sondern Steuermänner.
Fazit: Raus aus der Opferrolle, rein in die Gestalterrolle
All diese Mythen – so nachvollziehbar sie auch erscheinen – sind im Grunde Ausreden. Bequemlichkeiten, die uns davon abhalten, den wirklich lohnenden – aber anderen Weg zu gehen. Es ist leichter, nichts zu tun, als sich selbst ehrlich zu begegnen. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und nirgends passt dieser Spruch besser als im Umgang mit den eigenen Emotionen.
Ja, es braucht Mut, sich selbst zu hinterfragen. Es braucht Ehrlichkeit und die Bereitschaft, sich mit den eigenen inneren Themen auseinanderzusetzen. Aber der Gewinn ist hoch: emotionale Freiheit. Ein Leben, in dem wir nicht mehr unseren negativen Emotionen ausgeliefert sind, sondern sie als Hinweise zu sehen und sie zu lösen.
Die gute Nachricht: Es ist möglich. Wer sich auf die Kunst der emotionalen Selbstregulation einlässt, wird belohnt – mit innerer Ruhe, Klarheit und echtem Wachstum. Denn nur wer den Mut hat, sich selbst zu begegnen, kann sich auch wirklich weiterentwickeln.